Wolfgang Weser vor dem Kammerchor in St. Lorenz: „Der Morgenstern ist aufgedrungen.“ (Foto: thu)

von Michael Thumser / aus: www.hochfranken-feuilleton.de

AUF DIE HOFFNUNG WARTEN

„Machet die Tore weit“: Der Kammerchor Hof lud zum Adventskonzert. Freilich gab sich das Ensemble unter Wolfgang Wesers Leitung nicht einfach damit ab, das Publikum mit vorweihnachtlichen Gefälligkeiten einzulullen. Nicht als Mahnruf, doch als Weckruf wollte das tiefsinnige Programm verstanden sein.

Von Michael Thumser

Naila/Hof, 5. Dezember 2024 – Man muss nicht fromm sein, um Advent zu feiern. Zwar sehen die Christen am Beginn des Kirchenjahrs dem Geburtstag ihres Messias entgegen und schauen auch schon mal auf dessen irgendwann fällige Wiederkehr voraus. Aber die allzu vielen Dunkelstunden am Ende des Kalenders setzen wohl den allermeisten Zeitgenossen und -genossinnen zu, und auch Agnostiker und Atheisten freuen sich darauf, dass der nächste Morgen mit dem Licht eines neuen Tages über der in mancherlei Hinsicht  verdüsterten Welt aufgeht. Spätestens um halb neun lässt sich mit Worten der frühen Neuzeit sagen: „Der Morgenstern ist aufgedrungen.“

     Mit jenen Worten begann der Kammerchor Hof angemessen sein Adventskonzert – wobei zu überlegen wäre, welchen „Stern“ der Dichter und die Komponisten, Daniel Rumpius sowie Michael Praetorius und Otto Riethmüller, wohl gemeint haben: die Sonne? Oder die Venus, die den Aufgang des Zentralgestirns ankündigt und theologisch zudem für Jesus Christus steht? Geht es pragmatisch um Astronomie? Oder um geistliche Allegorie?

Herzhaftes Stimulans

Gerade zweieinhalb Monate ist es her, dass Wolfgang Wesers hochmögendes Ensemble mit dem Konzeptprogramm „Warning to the Rich“ gewissenlosen Selbstbereicherern und Materialisten himmlische Vergeltung vorausgesagt hat. Diesmal, erst in der Nailaer Stadtkirche, tags darauf in St. Lorenz in Hof, machte der Chor es dem besonnen lauschenden Publikum ein wenig leichter. Freilich lässt er sichs auch jetzt nicht angelegen sein, die Zuhörenden mit duftigen Tönen von Apfel, Nuss und Mandelkern gefällig einzulullen; lieber stimmt er mit feinfühlig aufeinander bezogenen Chorälen und Motetten auf Sinn und Bedeutung von Advent und Weihnachten ein. Nicht zum Warnruf, doch zum Weckruf hat der Chorleiter, neuerlich imponierend in seiner Werkkenntnis, die Bieträge zusammengefasst. 

     Obendrein wirkt ein explizit aufscheuchendes Instrument mit: Sowohl solistisch als auch von Dorothea Weser an der Orgel begleitet, erweckt Trompeter Sergey Storozhenko das Auditorium mit alter Musik von Georg Friedrich Händel, mit romantischer von César Franck, mit neuer von Théo Charlier. Die Bläserkünste des jungen, schon staunenswert versierten Künstlers rütteln nicht erschreckend auf, lassen aber als mal mehr, mal weniger herzhaftes Stimulans aufhorchen. Auch mit dem Chor verbindet Storozhenko sein Spiel, in einer „Fantasie“ von Johann Ludwig Krebs: „Wachet auf, ruft uns die Stimme“.

Archaisches Dunkel

Dass Weihnachten ein sehr säkulares Fest geworden ist, verleugnet die Trompete in Händels D-Dur Suite mit ihrer diesseitigen Lebensfülle nicht. Wirkungsvoll kontrastierend hält, unmittelbar danach, ein Advents-Kyrie des 1960 gestorbenen Günter Raphael über „Maria durch ein Dornwald ging“ dagegen: Geheimnisvoll in der Herbheit des Zusammenklangs verbreiten die fünfzehn Sängerinnen und zehn Sänger ein archaisches Dunkel, um damit die folgende Motette von Heinrich Schütz gleichsam einzukleiden. „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes“, predigt der Chor mit Worten aus dem neutestamentlichen Titus-Brief, singt in lehrhafter Nachdrücklichkeit vom „Warten auf die Hoffnung“ und stellt sich damit einer doppelten Ungewissheit: Nicht erst vor das Gute, das zu guter Letzt ‚von oben‘ kommen soll, sondern schon vor die Hoffnung darauf hat der Himmel erst einmal das Warten gesetzt.

     Vom Christenmenschen ist mithin viel unverdrossene Geduld verlangt, denn „Hie leiden wir die größte Not“, wie es bei Johannes Brahms heißt. In seiner Version von „O Heiland, reiß die Himmel auf“ identifizieren sich die Vokalisten geziemend mit dem Klagegestus der wandlungsreichen Motette und sparen selbst mit akzentuierter Seufzer-Motivik nicht; dabei wissen sie, während der cantus firmus von Stimme zu Stimme wandert, ihre variablen Druckkräfte jeder neuen Strophe ungezwungen neu anzupassen. Die (auch an anderer Stelle) gelegentlich labilen Einsätze fallen nicht sehr ins Gewicht; umso mehr die Tugenden der Damen und Herren, die das Schlussstück, Andreas Hammerschmidts „Machet die Tore weit“ aus dem siebzehnten Jahrhundert, beispielhaft zusammenfasst: Durchsichtigkeit der musikalischen Faktur, Leichtigkeit der Deklamation bei verständiger Einsicht in die Spiritualität der Texte, lichte Höhen, stabile Tiefen, Geläufigkeit bei hochgradiger Simultaneität …

Zu den Wurzeln

Solche Qualifikationen kommen erst recht der Vertonung zweier Antifonen durch den heute siebzigjährigen Litauer Vytautas Miškinis zugute, den diffizilsten Werken des Abends. Wachsam hören die Chorstimmen aufeinander, um die avancierte Harmonik der Sätze luzid zu modulieren. Im einen Stück, „O radix Jesse“, führt das Ensemble die Geburt des Messias auf Jesu „Wurzel“ zurück, auf Isai, den Vater Davids, des prominentesten hebräischen Königs. 

     Von der Empore herab lässt Dorothea Weser andächtig „Nun komm, der Heiden Heiland“ folgen, einen der genialsten Orgelchoräle Johann Sebastian Bachs; seine zu Tode betrübte und zugleich erwartungsvolle Haltung greift zurück auf Miškinis’ schon früher intoniertes „O Oriens“: Da haben Wolfgang Wesers Sängerinnen und Sänger die „Finsternis“ und den „Schatten des Todes“ mit wundersamen Tiefenwirkungen „erleuchtet“. So kündigt – je nach Übersetzung – der „Morgenstern“ oder „die Morgenröte“ nicht den ersehnten hellen Tag allein an, sondern ebenso die „Sonne der Gerechtigkeit“ mit ihrem „Glanz des ewigen Lichts“. In Zeiten meteorologischer wie weltpolitischer Kälte kann die hoffende Menschheit, ob gläubig oder nicht, solch weihnachtliche Erderwärmung gut gebrauchen. – Michael Thumser für Naila / Hof, Hochfranken-Feuilleton, 05. Dezember 2024 (online)

■ Der Kammerchor Hof im Internet: hier lang.

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